Max 6 Arms

Diese Geschichte erzählt von der kleinen Kati, die in einer Kindertagesstätte untergebracht wird. Dabei wird die Sicht des Kindes geschildert, die natürlich eine andere ist, als die der Erwachsenen.


Max 6 Arms ist ein Phänomen. Er kann alles gleichzeitig, was wir nicht können. Auch die Oma kann das nicht. Wenn die Oma beispielsweise Katis unzählige Fragen zu beantworten und gleichzeitig das Mittagessen zu kochen versucht, kann es leicht geschehen, dass die Suppe übergeht oder die Palatschinken verbrennen. Dann lacht die Oma und meint, dass sie eben nicht Max 6 Arms sei, und Menschen mit nur zwei Armen besser daran täten, sich nur einer Sache zu widmen, dies aber mit ganzem Herzen.

 

Max 6 Arms wohnt gemeinsam mit vielen anderen wundersamen Menschen zwischen zwei bunt gesprenkelten Buchdeckeln, und immer wenn Oma mit Kati auf dem Schoß in dem riesigen Ohrensessel neben dem kleinen Eisenofen sitzt, der an kalten Wintertagen mit glühenden Backen versucht die große Wohnstube zu erwärmen, dürfen Max und die anderen aus dem Buch klettern. Kati hat natürlich alle lieb, die in dem Buch wohnen, vor allem die gute Rosa Three Hearts, aber Max, Max 6 Arms ist ihr bester Freund.

 

Wenn abends, nach der Arbeit, die Eltern Kati von der Oma wieder abholen, ist es meistens schon so spät, dass sie die kleine Tochter nur mehr zu Bett bringen können. Kati hätte nach dem langen Tag so viel zu erzählen und zu fragen, doch die Eltern müssen am nächsten Morgen wieder früh aufstehen und sind immer sehr müde. Kati sehnt sich nach der Nähe der Eltern und hofft immerzu, dass die Zimmertüre wieder aufgeht und die Eltern zurück kommen und sie umarmen werden. Darum liegt Kati auch immer lange, sehr lange wach. Deshalb kann sie auch hören, was Mama und Papa in der Küche nebenan miteinander sprechen.

 

„Heute Nachmittag habe ich im Büro einen Anruf von der Direktorin der Kindertagesstätte bekommen, in der wir Kati schon vor langer Zeit angemeldet haben. Endlich ist ein Platz frei, und wir können unser kleines Mädchen schon am nächsten Montag bringen“, sagt Mama. „Jetzt fällt mir wirklich ein Stein vom Herzen“, erwidert Papa, „denn meine Mutter ist zwar ein lieber Mensch, aber Kati kann von ihr nichts lernen, als die alten Geschichten von Max 6 Arms und Rosa Three Hearts, die sie schon meinen Brüdern und mir erzählt hat. Außerdem braucht Kati dringend Kontakt zu anderen Kindern.“ „Die Betreuung durch deine Mutter war ja ohnehin nur als eine Übergangslösung gedacht“, sagt nun wieder Mama, „und es ist wirklich höchste Zeit, dass Kati von akademisch ausgebildeten Pädagoginnen unterrichtet wird.“

 

Kati will keine anderen Kinder, nur die Eltern will sie und ihre Oma. Kati hat auch keine Ahnung, was akadmisch ausgebildete Pädagoginnen sind, aber sie versteht, dass man ihr nun auch die Oma wegnehmen will. Kati krallt ihre winzigen Finger in den Pelz ihres Teddybären und beginnt zu weinen, ganz leise, dass es niemand hört, und lange, ganz lange, bis sie eingeschlafen ist.

 

Als Mama und Papa sie am nächsten Montag in der Kindertagesstätte abgeben, hält Kati sich schreiend an Mamas Beinen fest, und man muss die kleine Tochter gewaltsam von ihr trennen. „Das ist bei allen Kindern so am Anfang“, meint die Kindergartenpädagogin, “nach spätestens einer Woche aber haben sie sich mit ihrer neuen Situation abgefunden und hören mit dem Geschrei wieder auf.“

 

Kati verstummt schon nach drei Tagen und ist nun ebenso brav und artig, wie die anderen Kinder auch. Denn Kati hat Max 6 Arms. Immer wenn Kati sich unter den vielen Kindern einsam fühlt oder alleine in der Kuschelecke sitzt, klettert er klammheimlich aus dem Buch mit den bunt gesprenkelten Deckeln und kommt zu ihr, um sie zu trösten. Max 6 Arms hat Mamas Gesicht und die Arme von Mama, Papa und Oma, und all diese Arme umarmen sie gleichzeitig.

 

Max 6 Arms ist wirklich ein Phänomen.